Sunday 30 June 2013

Laos ist voller Überraschungen

Obwohl ich letztes Mal die Unterschiede zwischen Laos und Thailand andeutete hätte ich nie gedacht, dass fast alle Erfahrungen von 775 km Thailand hier nichts mehr zählen. Wir sind definitiv in einem anderen Land angekommen - eines mit neuen Spielregeln und Gegebenheiten.
Wir sind noch exotischer als in Thailand und werden immer genaustens beobachtet

Im ländlichen Laos haben wir uns mittlerweile an das Bild von nackten Kindern, die schwanzwedelnden Schweinchen quer über die Strasse nachjagen, gewöhnt. Gefolgt von jungen Entlein und Kücken jeden Alters. Etwas ganz anderes ist es, wenn ein wütend grunzendes Wildschwein mitten im Dschungel auf die Strasse springt, sich umschaut und wie verrückt geworden auf uns zurennt. Elly, die oftmals vorne wandert, zeigte trotz 15 kg Rucksack einen weltrekordverdächtigen Weitsprung nach hinten. Ich wechsle blitzschnell den Griff um meinen Wanderstock, damit ich zuschlagen kann, und schreie ihr "Stecken bereithalten" zu. Nur Meter vor uns springt das Biest ins Dickicht. Das Adrenalin begleitete uns noch ein gutes Stück des Weges...
Reisfelder und Berge

Der Geldbezug in Thailand war so einfach wie in der Schweiz: Bancomate gibt es überall und man bezieht den gewünschten Betrag. In den bisher bereisten Gebieten sind Geldautomate absolute Mangelware. 150 km ohne einen zu sehen ist keine Seltenheit - wenn man zu Fuss unterwegs ist sind das vier bis fünf Tage. Wenn dann noch keine unserer Karten (weder MasterCard, Maestro oder Travelcash) an den Laos Development Bank (LDB) Geräten funktioniert, dann wird es kritisch. In weniger entwickelten Regionen ist dies nämlich die einzige präsente Bank. Auf jeden Fall wurde unser Notenstapel immer kleiner als wir endlich ein ATM Schild erspähten. (100'000 Kip sind 12 CHF, die grösste Note 50'000. Daher Stapel - auch wenn wir nicht viel Geld mit uns tragen) Meine Enttäuschung war denkbar gross als darunter in kleinen Lettern 'LDP' stand. Mehr aus Verzweiflung als Überzeugung versuchten wir es nochmals mit allen Karten. Wieder das altbekannte Resultat: keine funktionierte. Nach all dem Zelten brauchten Ausrüstung und unsere schmutzigen Körper dringend wieder Aufmerksamkeit. Also buchten wir trotzdem ein Zimmer in einem Guesthouse was unser Budget auf knapp über 240'000 Kip schrumpfen liess.
Alles Geld, was wir noch hatten...

Jetzt mussten Lösungen her. 1) Per Internet einen Western Union Transfer tätigen und morgen das Geld abholen. Scheint naheliegend. Bleibt nur das Problem, dass sie einem hier wie ein Ausserirdischer anschauen wenn man nach Internet oder einem Computer fragt. Eventuell hat die Bank einen (nicht selbstverständlich in Laos!!!) und man könnte sie überzeugen, dass wir den benutzen dürfen. 2) Bus nach Vientiane und zurück um dort Geld abzuheben. Überhaupt nicht im Sinne des Projektes und wer weiss ob man das bei diesem Strassenzustand in einem Tag schafft. Dann hätte Elly nicht gewusst wo ich stecke und was los ist. 3) Durchkämpfen mit dem was wir haben. Bis Vientiane wären es noch ca. 210 km gewesen d.h. 7 Tage wandern, 6 Nächte zelten. Wenn wir in dieser Zeit nichts als Reis essen brauchen wir ca. 7 kg (50'000 - 60'000 Kip). 1.5 L Wasser kosten 5000 Kip. 10 - 12 L benötigen wir pro Tag d.h. über 250'000 Kip. Können wir uns nicht leisten. Also müssen wir Wasser finden oder darum betteln. Als Westler, die fast alles haben können. Von Leuten die kaum genug zum Leben haben. Nicht, dass sie es uns nicht gegeben hätten. Aber der Gedanke daran drehte mir den Magen um.
Links: einer der besseren Brücken in Laos. Ob sie die versprochenen 18 Tonnen tragen kann ist jedoch fraglich. Rechts: Hauptstrasse nach Vientiane...

Da Option 1) zwar unwahrscheinlich aber einfach zum Ausprobieren war erkundete ich mich im Dorf nach Internet. Plötzlich, aus dem Augenwinkel, erspähe ich rot auf weiss 'ATM 24 h'. Zwei Bancomate in einem Dorf? Darunter das Mastercard und dann das Maestro Logo. Mein Herz sprang mir fast aus der Brust. Ich musste mich ernsthaft zusammenreissen um nicht laut aufzuschreien und alle auf dem Weg dorthin zu küssen und zu umarmen. Wie ein Kind hüpfte ich pfeifend bis zur Türe. 'Domestic and International Transfers' stand darauf. Jetzt wusste ich: wir werden Geld haben. Karte rein, PIN und Betrag eintippen. Rattern. 'Please Take Your Card'. Rattern. Und dann: ein Bündel 50'000 Noten lachen mich breit aus dem Schlitz an. Hastig greife ich nach ihnen damit sie mir nicht mehr entwischen können. Beim nächsten Restaurant halte ich, bestelle 3 Portionen Gemüse mit Reis, lade die jungen Laoten, die dort sitzen, auf ein Bier ein. Nichts kann diesen Moment trüben und ich fühle mich wie der reichste Mann auf Erden. Auf dem Rückweg kaufe ich noch Getränke und Snacks. Als mich Elly mit dem vielen Essen sieht meint sie, dass ich übergeschnappt bin so viel auszugeben. Schockiert starrt sie mich an bis ich die Scheine zücke. "Wie, woher..." stottert sie. Ich erkläre und wir feiern, sind erleichtert. Am Abend essen wir gleich nochmals auswärts. 
Über Wasser können wir noch nicht wandern, daher benutzen auch wir die Fähre

Am nächsten Tag haben wir zwar volle Geldbeutel aber kein Wasser. Gerechnet haben wir mit einer Zunahme der Zivilisationsdichte. Erstens waren wir am Mekong und zweitens auf dem Weg Richtung Hauptstadt. Stattdessen dichtester Dschungel, schmale, steile Dreckstrasse und kein Haus weit und breit. Wieder einmal hat uns Laos überrascht. Zum Glück habe ich auf mein Gefühl gehört und 2 L Wasser eingepackt. Diese brauchen wir aber zum Kochen und für morgen. Es bleibt uns nichts anderes übrig als die wenigen Tropfen aus leeren Flaschen am Strassenrand zu sammeln, zu desinfizieren und zu trinken. Da wir auf einem Bergrücken sind gibt es kein Flüsschen. Unsere Kehlen sind komplett ausgetrocknet, die Beine brennen von den brutalen Steigungen. Ein Mann hält, bietet an uns mitzunehmen. Noch nie war die Versuchung so gross, doch wir lehnen ab. In einem lichten Bambuswald finden wir ein flaches Plätzchen und entscheiden hier zu campen. Sobald wir den Rucksack abstellen attackieren uns blutrünstige Moskitos. Im Sekundentakt fliegen riesige Geschwader Angriff um Angriff. Insektenschutzmittel nützt nichts. Also schnell das Zelt aufbauen. Elly mag Insekten nicht sonderlich. Damit sie nicht durchdreht stelle ich das Moskitonetz auf und setze sie darunter, koche mit so wenig Wasser wie möglich bevor ich zu ihr flüchte. Wenn das nur keine Malaria oder Dengue gibt. Meine Arme und das Gesicht sind so hügelig wie die Voralpen...
Die Nacht wird der Horror, wir Schwitzen literweise. Der Wasservorrat für den nächsten Tag ist bis zur Morgendämmerung aufgebraucht. Das gesammelte Regenwasser schmeckt grausam bitter, irgend etwas wurde wohl von dem Bambusblättern abgewaschen. Ungeniessbar. Ausgetrocknet wie ein Militärbiskuit packen wir hastig zusammen um so schnell wie möglich von den Blutsaugern wegzukommen. Nach 8 km ein Schild: 15 % Gefälle, abwärts. Und ich weiss, dass es da unten Wasser geben muss da dies bekanntlich nach unten fliesst. In der letzten Kurve sehen wir sogar Hausdächer in der Ferne. Dem ersten Mann, den ich sehe, kaufe ich zu Trinken ab und wir trinken wie die Kamele. Noch selten war lauwarmes Wasser und eine Art Orangina so gut...

Wie immer haben wir noch tausende Dinge mehr erlebt, Guesthouses nach 39 km Fussmarsch kurz vor Dämmerung gefunden wo es eigentlich nie welche geben sollte, begegneten unwahrscheinlich vielen Leuten, wurden zu literweise Beerlao eingeladen und durften wunderschöne Einblicke in den laotischen Alltag geniessen. Nun sind wir in Vientiane angekommen, der Hauptstadt von Laos, und müssen uns um unsere Visumverlängerung kümmern. Was für ein Schock. Wir haben in 18 Tagen 3 Westler gesehen. Nun sind sie in der Überzahl. Die Kultur, die wir kennen und lieben lernten, lebt hier nicht mehr wirklich. Auch wenn wir den Luxus geniessen, den die Stadt mit sich bringt, sind wir froh sie bald wieder hinter uns zu lassen. 1300 km sind wir nun gewandert, wahrscheinlich schon mehr als ein Viertel der Gesamtdistanz. Und wir staunen immer mehr was für Distanzen man in einer doch relativ kurzen Zeit zu Fuss zurücklegen kann.
Links: Tausendermarke erreicht... Rechts: typisches Wanderbild aus Laos

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Wir wandern 5000 km quer durch Südostasien um Geld für MAG (Mines Advisory Group) zu sammeln. Es wird verwendet um Laos, Kambodscha und Vietnam von Minen zu befreien. Wenn dir das Projekt und der Blog gefällt dann teile ihn doch mit Freunden, Kollegen und Bekannten. Über Spenden via JustGiving oder dem PC Konto 25-131893-4 (IBAN CH79 0900 0000 2513 1893 4) würden wir uns natürlich sehr freuen. Vielen Dank für die Unterstützung!

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